Cover
Titel
Wolves of Rome. The Lupercalia from Roman and Comparative Perspectives


Autor(en)
Vuković, Krešimir
Reihe
Transregional Practices of Power
Erschienen
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 94,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Luisa Mollweide, Universität Erfurt

Wenige römische Feste haben so viel Aufmerksamkeit in der Forschung auf sich gezogen wie die Luperkalien, ein Fest, bei dem am 15. Februar nackte junge Männer mit einer Peitsche aus Ziegenleder durch die Straßen zogen, Frauen schlugen und die Straßen Roms mit Jubel und Trubel erfüllten. Krešimir Vuković präsentiert in seiner Studie eine umfassende Analyse der Luperkalien in Verbindung mit der komplexen Mensch-Tier-Beziehung in rituellen Kontexten. Dabei bleibt Vukovićs Analyse nicht allein auf die historische Perspektive beschränkt: vielmehr hat er den Anspruch, die Beziehung zwischen Tieren und Menschen im Sinn der Human-Animal-Studies in einem sehr viel weiteren, kulturwissenschaftlichen und kulturtheoretischen Sinne zu untersuchen (S. 3). Aufbauend auf der Hypothese, dass eine enge Beziehung zwischen Mensch und Tier, insbesondere vom Wolf historisch in der indo-europäischen Migration des dritten und zweiten Jahrtausends v. Chr. zu verorten ist (S.14), erweitert Vuković sein Quellenkorpus und vergleicht die Einbindung von Tieren in den Luperkalien mit der in den Texten der Veden (S. 27f.).

Methodisch greift Vukovič auf neuere Ansätze aus den Human-Animal-Studies sowie der Postcolonial Theory zurück, deren grundlegende Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie eine scharfe ontologische Trennung zwischen Mensch und Tier hinterfragen und gegenseitige Abhängigkeiten, Verflechtungen und Ähnlichkeiten in den Fokus stellt. Dieser methodischen Grundlage ist auch die begriffliche Eigentümlichkeit geschuldet, dass Vuković selten von „Menschen“ und „Tieren“ spricht, sondern auf die Begriffe „human animals“ und „non human animals“ zurückgreift (S. 24f.).

Die 320 Seiten umfassende Monografie enthält neben der Einleitung und der Schlussfolgerung acht Hauptkapitel, die sich in zwei thematische Schwerpunkte gliedern lassen. Die Kapitel eins bis drei thematisieren und kontextualisieren das Fest der römischen Luperkalien, beginnend im Jahre 44 v. Chr., als die massiven Eingriffe seitens Caesars durch die Etablierung eines neuen Priesterkollegiums, der „Luperci Iuliani“, sichtbar wurden (S. 34, 273). Darüber hinaus zeigt Vuković, inwieweit einzelne Akteure mit Hilfe von Priesterämtern Einfluss auf politische Konstellationen nehmen konnten (S.45-55). Anhand der kaiserzeitlichen Luperkalien kann Vuković zeigen, dass eine enge Verbindung zum Wolf und der im Gründungsmythos von Rom vorkommenden Wölfin besteht und dass das Fest als Initiationsritual für junge Männer des Ritterstandes der Kaiserzeit fungierte (S. 243-246). Damit greift er auf das Konzept der Übergangsriten (Rites de Passage) zurück, das von Arnold van Gennep geprägt und durch Victor Turner weiterentwickelt und durch den Begriff der Liminalität ergänzt wurde.1 Turner verdeutlichte, dass durch die Initiationsriten ein liminaler Zustand ausgelöst wird, der den Übergang eines Einzelnen oder einer Gruppe begleitet.2 Vuković erkennt im Ablauf der Luperkalien diese liminale Eigenschaft (S. 95). Gleichzeitig sieht er in den Luperkalien auch einen Ritus der Umkehrung, ein Ritual, in dem gesellschaftliche Normen zugunsten eines zeitlich begrenzten chaotischen Spiels aufgehoben werden können (S. 99). Diese Umkehrung erkennt er in der umstrittenen Teilnahme des Flamen Dialis (S. 116f.), dem es nicht erlaubt war, Ziegen und Hunde zu berühren, die jedoch ein wesentlicher Bestandteil der Luperkalien waren (S. 124).

Die Kapitel vier bis acht bilden den zweiten thematischen Schwerpunkt und sind enger mit dem Begriff des indo-europäischen Kulturerbes („Indo-European Heritage“, S. 20) verbunden, welcher sowohl von der in der Linguistik geprägten Erforschung indo-europäischer Sprachfamilien und der Rekonstruktion einer möglichen „Ursprungssprache“ abgeleitet wird als auch auf den kontrovers diskutierten Forschungsansätzen des französischen Religion- und Sprachwissenschaftlers Georges Dumézil aufbaut. Dieser versuchte, Parallelen zwischen der hypothetischen Entwicklung der indoeuropäischen Sprachen und der Entwicklung einer indoeuropäischen Religion zu ziehen. Dumézil‘s Analyse verfolgt das Ziel, eine abgrenzbare indo-europäische Kultur zu rekonstruieren (S. 17, 19f., 139f.). Vuković geht sowohl in der Einleitung (S. 15-22) als auch im vierten Kapitel auf die entscheidende Rolle nationalsozialistischer Wissenschaftler wie Albrecht von Blumenthal und Franz Altheim bei der Prägung dieser Theorien ein. Trotz der problematischen Aspekte der Theorie entscheidet sich Vuković dafür den Begriff des indo-europäischen Kulturerbes zu verwenden. Dabei wird nicht reflektiert, dass die Nutzung des indo-europäischen Kulturerbes den methodischen Ansätzen der Human-Animal Studies und Postcolonial Theory widerspricht. Diese Ansätze betrachten die engen Verflechtungen zwischen Mensch und Tier nicht als eine Spezifik nur einzelner „Kulturen“, sondern als den Normalfall. Sie sehen die strikte Trennung zwischen Mensch und Tier als eine verfälschende Annahme der europäischen Aufklärung an.3 Vuković betont, dass er nicht beabsichtige, durch den Vergleich der vedischen und der römischen Religion Luperkalien in Indien zu finden oder Lösungen für die schwierigen Fragen der römischen Religion auf eine indo-europäische Migration zu verlagern. Er verfolgt das Ziel, durch seine Analyse der Beziehung von Mensch und Tier in den vedischen Ritualen das Verständnis der Rolle von Tieren in den Luperkalien zu bereichern. Insbesondere betrifft es den Wolf und die Ziege, die im Zentrum der Luperkalien stehen (S. 22f.). Damit betont er auch das Potenzial der umstrittenen Methode des Vergleichs von Kulthandlungen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Kontexten, das Vuković in der Erweiterung des Quellenkorpus der antiken Kulturen sieht, wodurch nicht mehr nur die antiken Kulturen der europäischen Forschung stehen (S. 8-24).

Aufbauend auf seinen methodischen Vorüberlegungen schlägt Vuković vor, den Ursprung der Luperci in Jugendbünden zu suchen: einer Gruppe von jungen Männern ähnlichen Alters, die gemeinsam jagen und eine neue Gemeinschaft begründen (S.147-159). Zu diesem Zweck schaut er sich neben den Luperkalien den Männerbund der Vratyas (S. 152f.) und das Fest der Mahavrata (S.154f.) an. Vuković zeigt in den von ihm untersuchten Quellen, dass die Beziehung von jungen Männern und Tieren, insbesondere mit Wölfen (S.162-171), Pferden (S. 218-225) und Vögeln (S. 224) von einer engen Verbundenheit geprägt ist. In den Hymnen des Rigveda ist das Pferd mit der Sonne und dem König am Himmel verbunden (S. 218f.). Die Sonne reitet in einem Wagen, so wie der König in den Ritualen der königlichen Einweihung, und illustriert die Assoziation von Pferden mit der Kriegerkaste. Laut Vuković besteht eine weitere Verbindung im Umgang mit Tieren darin, dass die Menschen von ihren tierischen Gefährten Kräfte auf sich übertragen können und die Luperci diese Übertragung der Kraft der Tiere auf den Menschen inszenierten (S. 225).

Zum Schluss der Untersuchung resümiert Vuković, dass sich im Laufe der Zeit die vedische und die römische Religion in unterschiedliche Richtungen entwickelt haben. Nichtsdestotrotz zeige die zentrale Rolle von Tieren in jenen Ritualen, die Verbindung beider Religionen (S. 275). Dieses Fazit impliziert, dass die beiden „Religionen“ einen gemeinsamen Kern besitzen, welcher in den Gruppen umherziehender junger Krieger der indo-europäischen Migrationen zu finden sei. Die Verwendung dieses überregionalen und historisch tiefen Vergleichs ist jedoch methodisch problematisch: Die analysierten römischen und vedischen Rituale stellen vielfach verflochtene, fluide und in Raum und Zeit variierende kulturelle Handlungen dar. Als in Raum und Zeit konstante Entität des „Indoeuropäischen“ könnten diese jedoch nur dann klassifiziert werden, wenn es sich um statische und klar umgrenzte Entitäten handelte. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der den Vergleich beider religiösen Systeme erschwert, ist die wechselseitige Gestaltung von städtischem Raum und städtischen Lebensformen im Zusammenspiel mit Religion, besonders im Kontext von öffentlichen Festen.4 In frühvedischer Zeit muss eine vorurbane Gesellschaft angenommen werden, die ca. 1000-600 v. Chr. eine erste Periode der Urbanisierung erlebte. Das politische System ab 1000 v. Chr. ist monarchisch aufgebaut mit einer instrumentalisierten Religion, welche als politisch multipolar und kulturell polyzentristisch bezeichnet werden kann. So weist Ingo Strauch darauf hin, dass die Brahmanen zu dieser Zeit, die neu entstandenen juristischen und hierarchischen Bedürfnisse bedienten und damit eine Bindung an die herrschende Elite begründeten.5 Die „römische Religion“ der späten Republik und Kaiserzeit ist auf die Stadt Rom konzentriert, die sich wechselwirkend zum Umland verhält.6

Wenngleich die Studie durch eine stärkere Eingrenzung der Begrifflichkeiten der „römischen Religion“ und der „römischen Feste“ im Zusammenspiel mit der Verflechtung der Performance von rituellen Praktiken in republikanischen, kaiserzeitlichen oder spätantiken Kontexten an analytischer Schärfe gewonnen hätte, gelingt es Vuković, neue Erkenntnisse insbesondere über das bisher viel zu wenig erforschte Feld der Beziehung zwischen Menschen und Tieren in rituellen Kontexten vorzulegen.

Anmerkungen:
1 Arnold van Gennep, Übergangsriten (Les rites de passage), aus dem Französischen von Klaus Schomburg und Sylvia M. Schomburg-Scherff, mit einem Nachwort von Sylvia M. Schomburg-Scherff, 3. erw. Aufl., Frankfurt am Main 2005 (1. Aufl. 1981), hier S. 21.
2 Viktor Turner, Vom Ritual zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels, aus dem Englischen von Sylvia M. Schomburg-Scherff, Neuausg., Frankfurt am Main/New York 2009 (1. Aufl. 1982), hier S. 60-68; dazu auch Barbara Stollberg-Rillinger, Rituale, 2. aktualisierte Aufl., Frankfurt am Main 2018 (1. Aufl. 2013), hier S. 24-26.
3 Vgl. Beiträge in Roland Borgards (Hrsg.), Tiere. Kulturwissenschaftliches Handbuch, Stuttgart 2016; Graham Huggan (Hrsg.), The Oxford handbook of postcolonial studies, 1. ed., Oxford 2013; Norman K. Denzin/Yvonna S. Lincoln/Linda Tuhiwai Smith (Hrsg.), Handbook of critical and indigenous methodologies, London 2008.
4 Jörg Rüpke, Urban religion: a historical approach to urban growth and religious change, Berlin/Boston 2020.
5 Ingo Strauch, Urbanisierung, Antiurbanismus und Deurbanisierung. Die Wege zur Stadt im alten Indien, in: Harry Falk (Hrsg.), Wege zur Stadt. Entwicklungen und Formen urbanen Lebens in der alten Welt, Vergleichende Studien zur Antike und Orient Bd. 2, Bremen 2005, S. 121-157, hier S.122, 145-147.
6 Dazu auch Hubert Cancik (Hrsg.), Die Religion des Imperium Romanum. Koine und Konfrontationen. 1. Aufl., Tübingen 2009; Andreas Bendlin (Hrsg.), Römische Religion im historischen Wandel. Diskursentwicklung von Plautus bis Ovid, Stuttgart 2009; Jörg Rüpke, Die Religion der Römer. Eine Einführung, 2, überarb. Aufl., München 2006 (1. Aufl. 2001).

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